Die 7. „Stadt Nach Acht“ findet am 24./25.10. unter dem Motto Stadt.Land.Clubs in Augsburg statt
Verfasst von Neue Szene am 24.10.2024
Interview mit Jürgen Enninger, Sebastian Karner und Marc Wohlrabe
Interview mit dem Augsburger Komponist und Klangkünstler für elektronische Musik
Elf Jahre war Markus Mehr in den 90ern und Nuller Jahren Mitbetreiber des Pop Wohnzimmer-Clubs Pavian und damit ein fester Bestandteil der Augsburger Pop- und Subkultur. Just beendete er seine Multi-Channel-Soundinstallation „Supra“, die in der arToxin Galerie in München zu sehen war und sich mit der Faszination für komplexe Schöpfungen der Natur und deren Interaktion auseinandersetzte. Mit dem gleichnamigen Album veröffentlichte er im Herbst experimentelle Klangskulpturen, die aus Aufnahmen aus dem Wald, dem menschlichen Körper und Metropolen entstanden. Bei einem Besuch in seinem Studio ließ mich Markus an seinem kreativen Prozess teilhaben und in eindrucksvolle Klangwelten eintauchen.
Von Tanja Moosrainer
Markus, du bist bzw. warst Gitarrist, Sänger, Produzent, Booker… Wo ordnest du dich aktuell ein?
Ich sehe mich in erster Linie als Komponist und Soundarrangeur. Ich arbeite mit Field Recordings, d.h. ich gehe nach draußen und nehme Klänge auf, woraus ich anschließend meine Arbeiten generiere. Das aufgenommene Ausgangsmaterial zerlege ich in mikroskopisch kleine Teile, mache es groß, klein, schneller, langsamer. Ich suche nach dem Sound hinter dem Sound und füge anschließend alles wieder zu einer Soundplastik zusammen.
Was bedeutet dir das Erschaffen von Musik?
Hier in meinem Studio ist die Welt in Ordnung, hier gibt es kein Gut oder Böse, keine aufgezwungenen Strukturen, es ist friedlich, ich kann mich austoben. Das bedeutet mir schon ziemlich viel. Ich bin natürlich auch daran interessiert, auf ein Publikum zu treffen.
Wen möchtest du wie mit deiner Musik ansprechen?
Alle Interessierten. Trotz einer konzeptionellen Herangehensweise versuche ich keinen intellektuellen Überbau anzubieten, sondern emotional zu berühren. Mir ist tausendmal lieber, jemand fühlt sich von meiner Musik persönlich ergriffen als dass hochgestochene konzeptionelle Fragen gestellt werden.
Wie bringst du deine künstlerische Freiheit und kommerzielle Realisierbarkeit in Einklang?
Ich kann von Musik immer wieder mal, aber nicht durchgängig und verlässlich leben. Drei Tage sitze ich im Studio, den Rest der Woche besorge ich mein Geld im Kulturamt in Gersthofen. Und das ist gut so. Ich musste mich nie verbiegen, musste nie in einer Bierzeltband spielen oder Aufträge annehmen, hinter denen ich nicht stehe. Ich weiß, es klingt pathetisch, aber meine Musik ist mir heilig. Musik ist für mich kein Vehikel, um Geld zu machen. Im Gegenteil, meine Projekte fressen Geld. Für „Supra“ habe ich u.a. finanzielle Unterstützung durch den Musikfonds Berlin bekommen. Neben dem unermüdlichen Einsatz meines Techis Florian Jung wäre die Installation sonst nicht umsetzbar gewesen.
Deine neue Soundinstallation „Supra“ ist eine Hommage an die unerschöpfliche Vielfalt der Natur und eine Art Appell an die Rückbesinnung auf die Natur. Kannst du uns mal in deinen kreativen Prozess der Entstehung mitnehmen?
Die Field Recordings für „Supra“ sind viel in der Natur entstanden. Es geht um Superorganismen, bspw. um Moose oder Flechten, Ameisen, Schwärme. Man hört darin aber auch Körpergeräusche und Großstadtlärm. Wir alle hinterlassen täglich eine riesige Furche an Verwüstung, haben uns so von der Natur entfremdet, dass wir meinen, sie ungestraft ausbeuten zu können. Mir geht es mit dieser Arbeit um eine Rückkoppelung und darum, zu zeigen, dass wir Teil eines wunderbaren Gefüges sind. Trotzdem kommt die Installation nicht mit dem Zeigefinger. ich will die Schönheit, aber auch das Chaotische und Unvollkommene auf künstlerischer Ebene zeigen, um über eine emotionale und ästhetische Ebene zu bewegen. Die Natur braucht nicht die Kunst, aber als Musiker versuche ich der Natur etwas hinzuzufügen, ich will sie gewissermaßen „adeln“. Ich will die Welt ein bisschen schöner machen.
Für mich gibt es jetzt eine Hörprobe: Ich setze mich mitten im Studio in den Sweet Spot und lausche einem Waldstück. Aufnahmen von Bäumen, Waldrauschen, Winde, Äste, sind hierauf verewigt. Die Bäume sind so entfremdet, dass sie nicht mehr als solche zu erkennen sind. Mein erster Gedanke, das Stück fühlt sich bedrohlich an, ist gleichzeitig sehr atmosphärisch und hat auch etwas Befriedendes auf mich. Es hat nichts von einer Blumenwiese, eher von einem Urwald.
Wie kommt man darauf, einfach mal in den Wald zu gehen und aufzunehmen, woher nimmst du deine Ideen?
Zunächst erarbeite ich ein Konzept und schaue dann, ob es sich umsetzen lässt. Ich rekrutiere viele Ideen aus meiner direkten Umgebung. Natürlich muss ich dann noch Lust haben, diese Ideen akustisch darzustellen, schließlich beschäftige ich mich mehrere Monate oder Jahre damit. An „Supra“ habe ich zweieinhalb Jahre gearbeitet.
Man sagt ja gern, umso leidender der Künstler, desto interessanter seine Kunst. Muss man sich erst wie Van Gogh ein Ohr abschneiden, um wirklich gut zu sein?
Das wäre wohl keine gute Idee, ich brauche schon beide Ohren. Ich halte mich für relativ zentriert, vielleicht weil mir die Musik die Therapie erspart. Ich bin kein Typ, der per se Leid braucht, um Kunst zu machen. Dennoch komme ich schon gerne über das Mystische und die Melancholie. Ich mache keine Gänseblümchensounds. Eine gewisse Schwere und Ernsthaftigkeit sind aber auch nichts Schlechtes.
Machst du Musik für dich oder für andere?
In erster Linie für mich, ich schaffe mir damit die innere Ausgeglichenheit, die ich zum Leben brauche. Trotzdem gehe ich mit meiner Musik auch immer nach außen. Wenn mir Aufmerksamkeit nicht wichtig wäre, würden wir uns nicht unterhalten.
Wie viel Persönliches von dir steckt in deiner Kunst?
Hundert Prozent. Als Extrakteur und Transporteur schaffe ich Neues aus Bestehendem. Ich mache Ungehörtes hörbar.
Welche Projekte stehen bei dir an?
Nach der Finissage von „Supra“ Ende November laufen jetzt die Arbeiten, die Installation an weitere Orte und auch nach Augsburg zu bringen. Im Frühjahr 2025 kommt mein neues Post-Ambient Album „Trans“. Und noch im Dezember erscheint ein neuer V_on-Track, im Januar dann das komplette Album „Hole in The Sea“.
Wo gehst Du hin, wenn Du bei Dir sein willst?
Ins Studio.
Wenn du keine Musik machen würdest, dann…
…wäre ich auf der Suche nach einer Beschäftigung, die mir ähnliche Befriedigung verschafft. Wissend, dass es die Musik gibt, kommt da lange nichts. (tm)
Foto: Daniela Vockeroth
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