In The Crowd Oder: Allein mit hundert anderen

Wie gespenstisch ein Raum mit hunderten von Leuten sein kann! Der Wahlabend im Augsburger Rathaus am Sonntag erinnerte an einen Bahnhofswartesaal ohne Gleisanschluss - in einem Traum mit Tonstörung. Das permanente und richtungslose Stimmengewirr, die nur sichtbaren, aber nie vernehmbaren Interviews und Statements der Presseleute und Politiker, der immer wieder kurz aufbrausende Applaus beim Auftritt der Spitzenkandidaten, das eingefrorene Lächeln der Verlierer im Blitzlichtgewitter...

Vermutlich war es einfach das Fehlen jeglichen Mittelpunktes, kein akustisches Signal geht einmal an alle, kein Redner ergreift das Mikrofon, keine Kommentatorenstimme dringt aus den stummen TV-Bildschirmen. Die Parteien gruppieren sich in verschiedenen Ecken und Bereichen des Oberen Fletzes, beständig starren Leute auf die Projektion der vorläufigen Ergebnisse am Kopfende des Sitzungssaales. Die Zahlen ändern sich im Minutentakt, aber immer nur geringfügig. Eigentlich ist nach der ersten Hochrechung alles klar. Trotzdem bleiben viele.

Nach ein paar Stunden sausen die Ohren, die unaufhörlich im 360-Grad-Radius lauschen, nur die Stimme des direkten Gesprächspartners ist vernehmbar, der aber ebenso häufig wechselt. Es ist heiß, die Damen am Getränkebüfett geben unablässig - und immer freundlich - Wasser und Saft aus und rollen mit erstaunlicher Gelassenheit ihre Wägelchen durch die Menge.

Lediglich der Aufzug des Wahlsiegers bringt so was ähnliches wie Stimmung, die CSU-Anhänger klatschen oben im Saal schon, als Kurt Gribl mit Partnerin unten den Aufstieg zum Oberen Fletz des Rathauses beginnt. Erst etliche Minuten später taucht er auf – und wird sofort an der Wand entlang zu den Presseständen geführt. Auch hier kein direktes Wort an die Rathausgäste. Wenn man bedenkt, dass im Saal die Wahlbeteiligung bei nahezu hundert Prozent gelegen haben dürfte, wäre eine kurze Rede schon angebracht gewesen, bevor sich bei der nächsten Abstimmung so mancher nicht direkt beteiligter Gast zu den knapp 60 Prozent Nichtwählern gesellt.

Doch heute Abend gelten nur die Kameras, Mikrofone, das Abklatschen mit den Parteikollegen und das Shakehands mit den Konkurrenten. Selbst Baureferent Gerd Merkle, ein enger politischer Weggefährte von Kurt Gribl, dringt zunächst nicht zu "seinem" Oberbürgermeister durch. "Keine Chance", berichtet er kopfschüttelnd seinen Begleitern.

Beim Gang nach draußen, etwa drei Stunden nach Schließung der Wahllokale, wenige Schritte vom Rathaus entfernt, wenn die Stimmen und Geräusche aus den Ü-Wagen verklungen sind, ist von der Stadtratswahl nichts mehr zu spüren. Beim Arkadas wirkt Peter Grab auf den Wahlwerbungspostkarten erstaunlich schnell gealtert, im Fernseher läuft der übliche Privatsender, die Ergebnisse der Kommunalwahl werden mit einem Schulterzucken quittiert: "Gribl, oder?" Womit ein erstes und erschreckend treffendes Fazit der Wahl 2014 gezogen ist, denn genau in diesem Schulterzucken der knapp 60 Prozent Nichtwähler liegt eine der dringlichsten Aufgaben der zukünftigen Stadtregierung. (flo)

Fotos: Christian Menkel

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