Weihnachtssterne für einen guten Zweck
Verfasst von Neue Szene am 03.12.2024
Der Christbaum für Alle aus dem vergangenen Jahr bekommt dank der Berufsfeuerwehr Augsburg ein zweites Leben
Es sollte eine hübsche, kleine 10-Euro-Reportage zum Ende des Jahres werden. Szene-Redakteur Marcus Ertle wollte im Rahmen seines schmalen Budgets bei der Versteigerung des städtischen Leihamtes mitbieten und das ein oder andere originelle Kleinod mit nach Hause nehmen. Am Ende kam es dann jedoch zum Eklat.
Ich hatte es mir so schön ausgemalt. Eine Versteigerung beim städtischen Leihamt. Fundsachen, nicht ausgelöste Pfandsachen - lauter tolle Dinge, die es zu ersteigern galt. Natürlich hatte ich die Befürchtung, dass mein Budget in Höhe von zehn Euro ein wenig klein sein könnte, aber ich hoffte, vielleicht gibt es da auch Sachen zu ersteigern, die eher kurios denn wertvoll sind. Vor meinem inneren Auge dachte ich an all den Kram, den unsereins im Lauf des Lebens verliert. Regenschirme, Handschuhe, Bücher, Füller, vielleicht ja auch eine Hasenpfote. Ich sah mich in einem Saal sitzen, um mich herum exzentrische Schatzsucher mit Sinn für die kleinen Absurditäten des Lebens, Liebhaber des Ungewöhnlichen, die beseelt mit einem Hirschgeweih, das in der Tram vergessen wurde, nach Hause gehen und es sich über den Tresen in der Kellerbar hängen. So in etwa.
Ich hatte auch eine besonders reizvolle Vorstellung: Was, wenn ich etwas finde, das ich selbst verloren habe? Ich stellte mir ein wildes Wettbieten mit einem Konkurrenten vor, möglichst in 50-Cent-Schritten.
Mein kleines schwarzes, sehr geheimes Notizbüchlein, zum Beispiel, das ich so sehr vermisste und das hier und jetzt versteigert wurde. Das versprach Dramatik, das versprach Spannung. Spannend wurde es dann auch, wenn auch anders als ich es erwartet hatte, aber dazu gleich mehr.
Zuerst musste ich den Versteigerungsort finden. Frühmorgens ging ich in Richtung Franziskanergasse, dort, zwischen Hasengasse und Vincentinum, befindet sich das städtische Leihamt. Den stilistischen Modernisierungen, die in den letzten 50 Jahren in manchen städtischen Behörden vorgenommen wurden, hat sich das Leihamt augenscheinlich bis heute recht erfolgreich entziehen können. Man kann das Interieur des Eingangsbereichs in etwa so beschreiben: grau. Faszinierend grau. Ein bisschen kommt man sich vor wie bei einer Zeitreise. Ein Tresen mit Sicherheitsglas, eine vertrocknete Zierpflanze, man würde sich nicht wundern, wenn an den Wänden noch RAF-Fahndungsplakate hingen und über dem Schreibtisch des Amtsleiters ein Foto von Bundespräsident Scheel. So altbacken das alles aussieht, es ist doch auch beruhigend. Diese schnelle, ach, was sag ich, rastlose Zeit der Computer und der Handys, hier scheint sie noch nicht angekommen zu sein. Aber wo ist denn jetzt die Versteigerung? Meine zehn Euro wollen ausgegeben werden.
Ich wende mich an den Mann hinter dem Sicherheitsglas. Er dreht sich überrascht um, er hat nur ein Auge und vielleicht ist er deswegen ein wenig ängstlich, wobei ich glaube, dass er auch mit zwei Augen nicht viel anders wäre, aber es hat halt immer so etwas leicht Dramatisches.
„Wo ist denn die Versteigerung?“, frage ich.
„Die Versteigerung?“, wiederholt er überrascht.
Ja, also die vom Leihamt, die ist doch heute.
Die Versteigerung, ahso, hm ja, heute, aber nicht hier.
Nicht hier im Leihamt?
Nein, nein.
Ja, aber wo ist sie denn dann, die Versteigerung?
Die ist in der Kirche.
In der Kirche ist die Versteigerung?
Im Kirchensaal, gleich rechts, übern Hof, dann in den ersten Stock, da ist die Versteigerung.
Na also, ein bisschen nachfragen und schon weiß man alles. Ich war kurz erschrocken, nicht dass ich mich bezüglich des Datums geirrt habe. Aber wieso war der brave Mann so überrascht, wieso hat er mich so irritiert angeschaut, als ob es eine absurde Vorstellung wäre, dass gerade ich zur Versteigerung des Leihamtes möchte? Egal, ich gehe voll Vorfreude zur Kirche nebenan. Guter Ort irgendwie, ein Kirchensaal, klingt irgendwie karitativ, ist sicher eine Stimmung wie beim Kaffeekränzchen vom Frauenkreis.
Ich gehe also in den ersten Stock. An einer Tür hängt ein Schild: „Hier Versteigerung Leihamt“. Ich öffne die Tür. Hmm. Ein großer Raum, grüne Vorhänge vor den Fenstern, eine Bühne, Stuhlreihen, an der Stirnseite des Saales eine große Jesusskulptur und circa 50 Menschen, die sich beim Öffnen der Tür ebenso überrascht wie der Einäugige zu mir umdrehen. Viele der Blicke, die ich nun ernte, ähneln in etwa denen, die man zugeworfen bekommt, wenn man als ungeladener Gast bei einem illegalen Pokerspiel im Hinterzimmers eines Bordells auftaucht. Womit ich keineswegs sagen will, dass die anwesenden Herrschaften auch nur die entfernteste Ähnlichkeit mit illegalen Pokerspielern oder, Gott verhüte, mit Prostituierten hätten. Nein, wirklich nicht, nicht direkt. Ich war halt noch nie bei illegalen Pokerrunden und auch nicht im Bordell, ich kann das also eigentlich nicht beurteilen. Aber wenn es da eine Ähnlichkeit mit den Anwesenden geben sollte, dann wäre diese sicher rein zufällig und von mir weder erwünscht noch angedeutet. Ich nicke den Anwesenden jedenfalls freundlich zu und setze mich in die allerletzte Reihe. Ein paar Männer in Lederjacken wenden sich immer wieder um, tuscheln, mustern mich, wahrscheinlich fürchten sie einen potenten Mietbieter, sage ich mir.
Aber worauf soll ich jetzt eigentlich bieten? Ich dachte, vor mir ausgebreitet wäre ein Sortiment an tausenderlei sonderbaren Dingen. Stattdessen sehe ich nur ein paar junge Menschen mit Schatullen durch die Reihen gehen. In den Schatullen liegt Schmuck. Furchtbarer Schmuck, erlaube ich mir zu sagen. Schmuck, der vielleicht in den 70er Jahren noch gerade so als zeitgemäß durchging. Protzige Uhren, kitschige Ketten.
Kurz dachte ich, der Jesus an der Wand wäre auch zu ersteigern, aber der gehört ja wohl zur Kirche, die ihren Saal wie zu Jesu Zeiten zur Räuberhöhle gemacht hat. Ein hübsches Mädchen mit zwei hässlichen Uhren geht zu mir und lässt mich die Ware bestaunen.
„Ich bin von der Presse, mache paar Fotos“, raune ich ihr zu.
Sie nickt verschwörerisch und geht weiter. Ich würde nicht direkt sagen, dass mir die Stimmung hier gefällt. Es hat etwas Zwielichtiges. Bullige Männer lassen sich Goldschmuck zeigen, kennerische Damen in Leopardenmantel prüfen Ringe, etwas abgerissene Herren flüstern.
Ich mache ein paar Fotos. Klick, klick.
Jetzt tritt der Auktionator auf. Er sieht exakt so aus wie Alfons Schuhbeck, er spricht sogar so. Aber er kann es doch nicht sein, oder? Nein, die Haare sind zu grau und der Akzent ist dann doch mehr schwäbisch als bayerisch. Aber die Ausstrahlung ist ähnlich. Er hat eine unglaublich volltönende Stimme und die breitbeinige Jovialität eines Metzgermeisters. Der Mann hat sicher schon unzählige Auktionen mit Bravour bewältigt.
„Was macht denn der Depp da?“
Zischt ein Mittdreißiger mit schulterlangen wirren Haaren und schaut überraschenderweise mich dabei an. Da er die Frage aber nicht direkt an mich gerichtet hat, sage ich nichts und warte darauf, wie das jetzt mit der Versteigerung läuft. Alfons Schuhbeck erhebt die Stimme.
„Sssssssssiebenhundert Euro, für die Herrenuhr XY-wasweißich.“
Oha, doch so viel. Wieder Getuschel. Eine junge Frau mit kühner Undercut-Frisur und kurzem Rock schaut mich missbilligend an, dabei habe ich ihr nichts getan. Alfons Schuhbeck hebt jetzt die Hand, lässt sie in der Luft schweben, schaut einen Bieter an, der ihm aufgeregt etwas sagt, lässt die Hand sinken und starrt mich an. Er legt seinen Kopf schief, als würde er ein ungewöhnliches Tier betrachten, geht langsam zwei Schritte in meine Richtung, hebt wieder die Hand, deutet mit dem Zeigefinger auf mich und sagt:
„Sie da, Sie wissen schon ganz genau, dass Sie hier nicht...also...keine Fotos hier machen dürfen.“
Er bleibt stehen. Die versammelte Mannschaft wendet sich jetzt zu mir um, die Blicke sind durchaus wütend. Anscheinend sind es die Damen und Herren nicht gewohnt, fotografiert zu werden, auch nicht, wenn sie selbst überhaupt nicht auf den Fotos zu erkennen sind. Ich setze zu einer Erklärung an. Presse, mache keine Fotos mehr, wenn es so gewollt ist, aber ich werde von dem Langhaarigen unterbrochen:
„Was das Arschloch hier macht, frag ich mich schon lang!“
Ich würde nicht sagen, dass die Stimmung kippt, dafür müsste sie anfangs positiv gewesen sein. Ich würde eher sagen, dass sich sehr schnell eine gewisse Aggressivität bemerkbar macht, deren Ziel ich bin.
„Raus mit dem Depp!“
Schlägt ein untersetzter Mann vor und ballt tatsächlich die Faust dabei. Was für eine pathetische Geste. Alfons Schuhbeck wird jetzt, da er die Energie der Menge hinter sich spürt, grimmiger und kommt weiter auf mich zu. Ich will wieder etwas Begütigendes sagen, aber im nächsten Moment erheben gleich drei, vier, ein halbes Dutzend Leute ihre Stimmen und in fast allen Wortmeldungen kommen die Worte „Depp“, „Wichser“ und „Raus!“ vor. Der Auktionator steht jetzt nur noch ein paar Meter von mir entfernt. Er sagt nichts, die Menge starrt mich an, er hebt nur die Hand und deutet mit dem Zeigefinger zum Ausgang, dabei strahlt er den müden Triumph eines Kneipiers aus, der einen störenden Gast aus dem Hinterzimmer jagt ohne dabei laut werden zu müssen. Den Part übernehmen allerdings bereits die Gäste.
Die sind wirklich empört. Da ich wirklich nicht willkommen zu sein scheine, da sich jetzt sogar ein, zwei wütende Herren von ihren Plätzen erheben und wohl doch eher in meine Richtung gehen wollen, beschließe ich, um des lieben Frieden Willens, dass ich genug gesehen habe. Ich stehe auf, packe meine Sachen und gehe. Hinter mir springt die Dame mit dem Undercut auf, eilt mit hinter mir her, wirft die Tür hinter mir zu und ruft:
"So ein blödes Arschloch!"
Vielen Dank für die Blumen.
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