Die Seiferei: Selbstverwaltet und solidarisch!

Interview mit Paul und Düzgün vom Augsburger Seiferei-Kollektiv

Wie passen Bio-Reinigungsmittel, postkapitalistische Utopien und solidarisches Engagement zusammen? Die ehrenamtlich selbstverwaltete Augsburger Seiferei macht es vor. Seit 2019 vertreibt das Kollektiv Seifen und Co. aus einer besetzten, demokratisch organisierten Produktionsstätte in Griechenland und tüftelt an Ideen für ein solidarisches Wirtschaften und Leben. Wir haben Düzgün und Paul zu einem Gespräch im kleinen Seiferei-Laden im Grandhotel Cosmopolis getroffen. Von Lina Frijus-Plessen

Die Seiferei gäbe es wahrscheinlich nicht ohne Vio.Me. Könnt ihr kurz etwas zur Geschichte dieser außergewöhnlichen Seifenfabrik erzählen?
Paul: Vio.Me ist ein Betrieb mit einer Fabrik in Thessaloniki, in der ursprünglich Klebstoffe für Bodenfliesen hergestellt wurden. Im Zuge der globalen Finanzkrise ab 2008 ist die Firma bankrottgegangen, die Fabrik wurde geschlossen, die Chefin ist mit den ausstehenden Löhnen durchgebrannt und die Angestellten standen auf einmal vor dem Nichts. Doch ein kleiner Teil der Belegschaft wollte die Fabrik nicht aufgeben und ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Gleichzeitig wollten sie die Produktion verändern und nicht mehr giftige Klebstoffe herstellen, sondern umweltfreundliche Produkte, die näher am menschlichen Lebensalltag sind. So entstand die Idee, vegane und biologische Reinigungs- und Körperpflegeprodukte herzustellen. Circa 30 Arbeiter*innen haben die verwaiste Fabrik besetzt, alle Maschinen umgebaut und haben dann 2013 mit der neuen Produktion angefangen.
Düzgün: Außerdem haben sie die Betriebsstrukturen revolutioniert und Vio.Me zu einem selbstverwalteten, basisdemokratisch organisierten Unternehmen gemacht. Alle haben gleiches Mitspracherecht, kriegen den gleichen Lohn und die Posten rotieren, sodass alle Personen die verschiedenen Produktionsprozesse begleiten.

Wann habt ihr das erste Mal von Vio.Me gehört und wie entstand schließlich die Idee, eine eigene Verkaufsstelle in Augsburg zu eröffnen?
Düzgün: Ich habe auf Arte zufällig eine Reportage über Vio.Me gesehen und war sofort begeistert von dem Konzept. Als ich ein paar Freunden davon erzählt habe, entstand unter uns der Wunsch, die Arbeiter*innen in Thessaloniki zu unterstützen und die Idee, in Augsburg einen solidarischen, ebenfalls selbstverwalteten Vertriebsort auf die Beine zu stellen.
Paul: Das ehemalige Netzwerk Solidarische Stadt Augsburg hat etwa zu dieser Zeit eine Graswurzel-Konferenz zum Thema Eigentum veranstaltet. Wir hatten mittlerweile alle die Vio.Me-Doku gesehen und kamen auf die irrwitzige Idee, einfach mal in Thessaloniki anzurufen und jemanden von Vio.Me zur Konferenz nach Augsburg einzuladen, um ihr Projekt und diese alternative Form des Eigentums im Produktionsprozess vorzustellen. Und genauso kam es dann auch! Spätestens nach dieser Konferenz war uns klar, dass wir unsere Idee der Seiferei tatsächlich in die Realität umsetzen müssen.

Aller Anfang ist schwer, aber ihr habt gleich zum Start eures Projekts viel Solidarität erfahren, richtig?
Paul: Es war klar, dass wir für unsere erste Bestellung von Vio.Me-Produkten Startkapital brauchten und wir haben es einfach mal mit einem Fundraising probiert. Da sind dann in null komma nichts ausreichend Spenden von vielen Unterstützer*innen eingegangen, die uns darin bestätigt haben, dass es das Wagnis wert ist. Dieses Crowdfunding hat uns dann den finalen Schub gegeben, sodass wir mit dem gesammelten Geld die erste Tonne an Seifen von Vio.Me bestellen konnten. So gesehen könnte man uns eigentlich als eine Art sozialistisches Start-Up bezeichnen.

Woraus zieht ihr eure Motivation für die Seiferei und die Unterstützung von Vio.Me?
Düzgün: Wir sehen an Wirtschaftskrisen, dem Klimawandel und den prekären Arbeitsverhältnissen vieler Menschen, dass die gewohnte Art, wie wir wirtschaften und produzieren, einfach nicht mehr funktioniert. Aber die bestehenden kapitalistischen Strukturen erscheinen den meisten so selbstverständlich und alternativlos, dass jegliche Überlegung, wie man es anders und besser machen könnte, sofort als Spinnerei abgewiesen wird. Aber Vio.Me bringen den handfesten Beweis, dass diese „Spinnereien“ real existieren und erfolgreich funktionieren können, und das seit mittlerweile acht Jahren.

Gibt es ähnliche, selbstverwaltete und antikapitalistische Betriebe auch in Deutschland?
Paul: Im produzierenden Gewerbe dürften das momentan noch wenige sein, wie etwa das Baukollektiv Magdeburg. Auch in Nürnberg gibt es seit Kurzem ein demokratisch organsiertes Handwerker*innnen-Kollektiv. Absolut erwähnenswert ist im Reproduktionsbereich die Poliklinik auf der Veddel in Hamburg, ein solidarisches Gesundheitszentrum, das ganzheitliche medizinische Versorgung und Beratung dezidiert in einem Stadtteil anbietet, in dem die Anwohner*innen normalerweise durch das Raster der medizinischen Versorgungsstruktur fallen.
Düzgün: Ich würde auch das Grandhotel in Augsburg dazu zählen. Es ist ein wertvolles, nicht-kommerzielles und im Kollektivverständnis verwaltetes Projekt, das viel zur Solidarität und Kultur in der Stadt beiträgt.

Auch eure Ambitionen gehen in diese Richtung. Was will die Seiferei für Augsburg sein?
Düzgün: Die Seiferei ist für uns viel mehr als der kleine Laden, in dem wir Vio.Me-Produkte verkaufen. Sie ist eine Denk- und Ideenwerkstatt, in der man die Köpfe zusammensteckt und sich die Frage stellt, wie wir eigentlich leben und arbeiten wollen. Im Konzept der Seiferei drückt sich außerdem eine klar antikapitalistische und antifaschistische Positionierung aus.
Paul: Im Kleinen das schaffen zu können, was Vio.Me für uns war, also ein Aushängeschild für alternative Wirtschafts- und Lebensformen zu sein, das ist uns ein großes Anliegen. Es wäre großartig, wenn sich andere Leute vielleicht von unseren Ideen inspirieren lassen und ähnliche Projekte ins Leben rufen.

Und auch Kunst und Kultur scheinen für die Seiferei eine wichtige Rolle zu spielen, wie man an eurem Soli-Sampler sieht, den ihr im Sommer herausgebracht habt. Wie kam es eigentlich dazu?
Paul: Irgendwann letzten Winter kam uns an einem dieser traurigen Lockdown-Tage, an dem wir etwas pessimistisch auf die Zukunft der Seiferei blickten, die Idee, ein tolles Solidaritätsprojekt auf die Beine zu stellen. Uns allen sind Musik und Kultur immer sehr wichtig gewesen und so haben wir uns überlegt, Musiker*innen verschiedenster Genres in unserem Bekanntenkreis anzufragen, ob sie nicht Lust hätten, ein Lied für einen Sampler beizusteuern, dessen Erlös in den Erhalt der Seiferei und in die Unterstützung von Vio.Me fließt. Alle Künstler*innen waren sofort bereit mitzumachen und der Augsburger Schallplattenhersteller Duophonic hat uns sogar angeboten, die Plattenproduktion zu übernehmen. Diese große Welle der Solidarität hat uns wahnsinnig umgehauen.
Düzgün: Es ist auch ein großartiges Statement der Künstler*innen, in einer Zeit, in der die eigene Existenz bedroht ist, an einem unentgeltlichen, solidarischen Projekt mitzuwirken.

Wie kommt man denn am besten an die guten Waren aus der Seiferei?
Paul: Unser Laden im Grandhotel ist zurzeit samstags von 15.30 bis 18.30 geöffnet. Man kann die Produkte aber auch unter seiferei.noblogs.org anschauen, per E-Mail bestellen und wir liefern sie dann mit dem Fahrrad oder per Post aus. Den Soli-Sampler kann man zusätzlich im Augsburger Weltladen und seit Ende Oktober auch digital via Bandcamp erwerben.
Düzgün: Von Ende November bis Anfang Januar sind wir außerdem mit einem kleinen Stand im Kaufhaus Konrad in Pfersee vertreten. Auf unserer Webseite und den Social-Media-Kanälen findet ihr darüber hinaus immer aktuelle Infos und seid auch herzlich eingeladen, mit euren Gedanken und Vorschlägen für neue oder bestehende Solidaritätsprojekte zu uns zu kommen. (lina)

Verkauf: Jeden Samstag von 15:30-18:30 im Grandhotel Cosmopolis (Halbparterre, gleich nach der Lobby rechts)
https://seiferei.noblogs.org
www.viome.org

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