Wo sich Buchs und Bleiwurz gute Nacht sagen

Verfasst am: 01.09.2012 | Autor: Florian Kapfer

Selbst im August kommt Augsburg nicht zur Ruhe...

Der Babyboom im Zoo wird mit einer Großaufnahme kopulierender Nashörner in der Zeitung gefeiert, angesichts der Fleckenpest in der Maxstraße werden unbescholtene Architekten zu ausgewachsenen Baustellenvoyeuren, der Besuch des Brecht-Festivalleiters im Kulturuntersuchungsausschuss lässt die Opposition älter aussehen als die über hundertjährige Straßenbahnfahrerin, die Grundsteinlegung am Kö und der Baubeginn am Hauptbahnhof wecken den Verdacht, Augsburg würde sich demnächst für Olympia bewerben. Ein Bub, dessen Zeugnis von der Schule einbehalten wird, weil er seine verschlampten Bücher nicht bezahlt hat, bewegt tagelang die Gemüter der erziehungsmüden Akademiker. Und im Vergleich zu der bundesweiten Resonanz auf die Augsburger Tigerente wirkt Joachim Langs Pressemappe zum Brechtfestival wie ein Reclamheftchen. Das Augsburger Sommerloch ist eine perfekt ausgeschilderte Baugrube, in der als Landsknechte verkleidete Marathonläufer das Goldene Unesco-Kalb mit Friedensbier besprenkeln, während Volker Schafitel Bodenproben vom Prinzregentenplatz nach der NPD-Demo nimmt. Stadtbaurat Merkle reagiert sofort: „Für die braunen Flecken kann ich nichts.“

Nicht mal vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist in diesen Tagen Linderung zu erwarten. Auch hier tobt der Olympiawahnsinn und tagtäglich rügen die ARD-„Tschournalisten“ die miesen Ergebnisse unserer hochgeförderten Hochleistungs(!)sportler, als ob sie persönlich vier Jahre lang versucht hätten, Nadja Drygalla den Unterschied zu erklären zwischen „Wir wollen nicht länger Zahlmeister Europas sein“ (NPD) und „Deutsche, wollt ihr ewig zahlen?“ (Freie Wähler München). Im Umkehrschluss wird dann angesichts der Bronzemedaille im Hallenhalma gebrüllt wie eine ganze Abteilung Nashörner beim Herdensex.

Nur spät nachts wird es schließlich doch etwas ruhiger und man besinnt sich auf die wirklich wichtigen Sachen im Leben. Der Moderator des Musikjournals im Deutschlandfunk eröffnet die Sendung mit der herrlichen Einführung: „Wenn man eine Liste der beliebtesten Instrumente im Frühbarock erstellen würde...“ Für solche Sätze würde ich jederzeit eine Gebührenverdoppelung in Kauf nehmen. Ich meine, wer würde das nicht gerne machen? Einfach mal hinsetzen und eine Liste der beliebtesten Instrumente des Frühbarocks auf die Rückseite der Stadtwerke-Rechnung kritzeln: Laute, Cembalo, Morgenstern - der Frühbarock war schließlich geprägt durch den dreißigjährigen Krieg, zumal in Augsburg.

Über dreißig Jahre ist es bereits her, dass Bob Dylan seinen "Subterranean Homesick Blues" aufgenommen hat, offensichtlich direkt auf Augsburg gemünzt: "Kurti’s in the basement, mixing up the medecin, I’m on the pavement, thinking about the government". Und das ist nicht mal gelogen, unser Oberbürgermeister erweist sich in seinem Blog auf der Homepage der Stadt Augsburg tatsächlich als profunder Kenner der Kräuterwelt. Unter der vorbildlich alliterierenden Überschrift "Buchs und Blauer Bleiwurz" schreibt er zur heißdiskutierten Dreimeterregelung in der Maxstraße: "Sie gibt unseren Gastronomen die Möglichkeit, mit solidem Mobiliar und einer hochwertigen Bepflanzung kleine Inseln zum sich Niederlassen zu schaffen. Dann sitzt man - umgeben von weiß- und rosablühendem Oleander, Enzianstrauch, Lorbeer, Buchs oder blauem Bleiwurz - bei einem Spritz oder Cappuccino..."

Wir sind beeindruckt und zücken respektvoll Waschbärmütze und Parkplatzmünze. Um eine in Stein gemeißelte Dylanologie kommt allerdings auch ein OB mit grünem Daumen nicht herum, trotz Semmeltaste und Augusto: "Don’t follow leaders, watch the parking meters".

Foto: Christian Menkel