Wir haben keine Wahl – zum Glück!

Verfasst am: 01.11.2015 | Autor: Florian Kapfer

Volkes Willen ist angesichts der Flüchtlingskrise zu einem echten Schreckgespenst geworden...

Die Situation ist bizarr: Nachdem wir jahrelang die abnehmende Wahlbeteiligung in Deutschland beklagt haben, sind die meisten Bundesbürger gerade saufroh, dass keine größeren Abstimmungen anstehen. Volkes Willen ist angesichts der Flüchtlingskrise zu einem echten Schreckgespenst geworden (da bekommt der Begriff »geheime Wahl« gleich eine ganz andere Bedeutung), zumal sich vor allem Volkes Unwillen gerne in mitgeführten Hinrichtungsinstrumenten äußert - also im Prinzip genau das, was die Christen seit Jahrhunderten machen. Angeblich war am berühmtesten Exemplar des Kreuzes ja auch ein Name angebracht... Und ohne hier die ekelhaften Pöbeleien und Hetzreden von Pegida und Co verteidigen zu wollen: Dreißig Jahre nach Einführung des Privatfernsehens über die »Verrohung der Gesellschaft« zu lamentieren, ist doch auch eher ein schlechter Witz.

Ihren eigenen Weg in Sachen Urnengang gehen wie immer die Eidgenossen: In der Schweiz haben die Wahllokale sonntags nur bis Mittag geöffnet. Die halten’s wie die Bayern mit der Weißwurst: Das Zwölfuhrläuten darf der Wahlzettel nicht hören. Blöderweise ist das Ergebnis halt auch dementsprechend. Wenn die empörte Elite nach einem anstrengenden Kabarettabend bis zur Mittagszeit gerade mal die Sojamilchlatte fertig aufgeschäumt hat, sollte es eigentlich niemanden verwundern, dass die Rechtspopulisten gewinnen. In Köln genügte nicht mal ein Mordanschlag auf die aussichtsreichste OB-Kandidatin, um die Stadt vor der Sportschau wachzurütteln. Da freut man sich wie ein Schneekönig über die Nachricht eines liberalen Wahlsiegs – und wenn es nur der Ahornthron im fernen Kanada ist.

In Augsburg dauert es bekanntlich noch sehr lange, bis sich der Bürger wieder zur Urne begeben darf, vorher wird sogar noch bayernweit gewählt. Das könnte dann auch für unseren Oberbürgermeister interessant werden, der Ende Oktober als Neuzugang unter den Stellvertretern von Crazy Horst in München präsentiert wurde. Nicht zuletzt ist Kurt Gribl nun Vizevorsitzender der CSU! Was kann man mehr erreichen im Leben? Okay, Feuerwehrkommandant in Kriegshaber war auch nicht schlecht, aber lassen wir das.
Wie alle Kommunalpolitiker in Bayern muss auch Gribl zurzeit hauptsächlich Feuerwehr spielen, was ihn aber nicht daran hinderte, unserer linksradikalen Kanzlerin so poetische Sätze wie »Eine Politik der offenen Arme darf die helfende Hand nicht überfordern« ins Poesiealbum zu schreiben. Damit wollte er natürlich auch seiner Sorge Ausdruck verleihen, die helfenden Münchner Arme könnten die offene Augsburger Hand im Stich lassen.

Seltsamerweise ist Theaterinvestor Markus Söder, Augsburgs bis dato größter Fan in der Staatskanzlei, zurzeit abgetaucht. Hat der Finanz- und Heimatminister etwa die Heimat schon für verloren erklärt und sich bei Häuptling Kä-Tie Goodmountain als Vorzimmerkaktus beworben? Das kann er doch nicht machen, der Freistaat ist beliebt wie selten zuvor und das zuständige Ministerium hängt das Schild mit der Inschrift »Heute wegen gestern geschlossen« raus!

Dabei weiß doch jeder, der außer Katzenkrimis und FIFA-Pressemitteilungen noch etwas anderes liest, dass spätestens seit der Wiedereröffnung der alten Eckkneipe »Zum Kalten Krieg« die Zeiten rauer geworden sind. Selbst die Stadtwerke erproben erste Maßnahmen zur Massenberuhigung und haben nach knapp zwei Jahren endlich eine sinnvolle Verwendung für die Beleuchtung des Haltestellendreiecks am Kö gefunden: Durch ein grünblinkendes Lichtspektakel zu den Stoßzeiten sollen nach den Straßenbahnen auch die Passagiere besser synchronisiert werden. Die Lightshow beruht auf einer Idee von Geschäftsführer Walter Casazza, »schließlich habe er oft genug beobachtet, dass sich Fahrgäste beim Umsteigen zu sehr beeilen, obwohl die Bahnen noch länger zur Abfahrt bereitstehen«, heißt es in der Ankündigung. Für mich klingt das, als wäre der Casazza ein klein wenig sauer auf seine Augsburger, weil die sich »zu sehr beeilen«. Das hat uns vermutlich auch noch niemand vorgeworfen. Spannende Zeiten, fürwahr!