Stirb leise Cowboy

Verfasst am: 01.10.2014 | Autor: Florian Kapfer

Die Sache mit dem Licht ist in Augsburg eine heikle Angelegenheit. Nicht, dass wir etwas zu verbergen hätten, aber zu hell sollte es halt auch nicht sein und schon gar nicht nachts...

Licht – Goethe war es auf dem Sterbebett vermutlich vollkommen schnuppe, aber die dem Dichterfürsten angedichteten berühmten letzten Worte »Mehr Licht« bekommt man wohl nie mehr aus Netz und Anekdotenschrank. Meine Schildkröte und ich können das durchaus nachvollziehen, der kann es ebenfalls gar nicht hell genug sein. Ich habe sie trotzdem nicht Gretchen oder Charlotte genannt. Sondern Lucy. Okay, erwischt. Sonstige Geständnisse gefällig? Mein Lieblingsberg in Reichweite ist das »Hohe Licht« bei Oberstdorf und ich hüte eine Grabplatte, die einst die letzte Ruhestätte einer Dame markierte mit dem schönen Namen »Käthe Lichter«. Die drei Südfenster in meinem Wohnzimmer sind ein täglicher Quell der Freude und wenn ich von einem Flohmarkt heimkomme, ohne eine dieser bezaubernden 50er-Jahre-Lampen erworben zu haben, erkundigt sich die Schildkröte besorgt nach meinem Befinden.

Damit teile ich vermutlich die Vorliebe vieler meiner Mitmenschen. Tagsüber. Nachts wird’s freilich kritisch. Der Bundesbürger ist es ja gewohnt, in seinem von Banditenhorden geplagten Land zum Schlafen eine erdbeben-, atomschlag- und vor allem ausländersichere Höhle zu bekriechen mit Doppelrollladen und Dreifachfenster. »Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg«, haben weiland Blumfeld gesungen. Der deutsche Durchschnittsschläfer legt sich nicht nur in einen Sarg, sondern bedient auch noch höchstpersönlich den Betonmischer, der Abend für Abend sein Haupt verbergen und schützen soll. Wer so viel Unbehagen seiner Umwelt gegenüber hegt – das Ende der Fensterläden, eine der wohl schönsten Erfindungen, die je ein Architekt ersonnen hat, sagt ja schon alles – sollte sich vielleicht mal überlegen, ob er auf dem richtigen Planeten wohnt.

Das Problem daran: Damit das Überleben als Höhlenbewohner funktioniert, muss die Lichtquelle – früher bekannt als Fernseher, jetzt irgendwas mit »HD« am Anfang und »ultra« am Ende – mindestens so groß sein wie das Auto des Nachbarn. Und da die dazugehörigen schönscharfen Bilder am leichtesten in Studios produziert werden, verlegen wir seit Jahren sämtliche Sportarten in die Komfortzone, meist Arena genannt. Die DEL hat ob unseres Eisstadions mit den Augenbrauen gezuckt, Panther und Stadt sind flugs übers Stöckchen gesprungen, der FCA sowieso schon in vorauseilendem DeFiLier-Marsch. Nun hat die Rosenau zwar Denkmalschutz, aber keine Verwendung mehr, und das Curt-Frenzel-Stadion ist ein Klotz am Berg. Und dieser Klotz ist auch noch beschissen beleuchtet. Wie eine Achtziger-Jahre-Disko im Zonenrandgebiet. Da macht man gern die Rollladen runter als Anwohner.

Blöderweise sieht die Schüssel nachts aber hauptsächlich deshalb so bescheiden aus, weil die leidgeprüften Stadionbauer Angst hatten, dass die eigentlich geplante »leuchtende Eisscholle« die Nachbarn beim Fernsehen stören könnte. Jetzt haben alle zusammen, passend zum Klimawandel, eine Eisscholle mit Kratzern vor der Nase, worüber wiederum Panther, Fans und einige Stadträte selbige lauthals rümpfen. Das dazugehörige Modell hat sich im Vorfeld natürlich kaum einer angesehen, vermutlich kam was Besseres im Fernsehen.

Wenn wir uns nur mal kurz vorstellen, der gute Johann Wolfgang von Goethe hätte letztens noch gelebt und zufällig in Augsburg die Feder an den letzten Nagel gehängt, am besten irgendwo am Klinkerberg, und tatsächlich nach »mehr Licht« verlangt! Und dann wäre prompt die ursprünglich geplante Eisscholle angesprungen und hätte dem alten Dichterfuchs heimgeleuchtet. Junge, Junge, da wäre bestimmt noch ein schöner Augsburgreim rausgesprungen!

So aber scheinen wir uns eher der österreichischen Hauptstadt anzunähern. Aus Wien wird berichtet, dass nächtliche Krakeeler schon mal mit einem beherzten: »Hoid die Pappn da draußen, mir woin in Ruhe sterb’n!« zur Räson gebracht werden. Tu felix Augsburg!