MEIKE DROSTE liest Brecht
Verfasst von Neue Szene am 02.06.2023
Ein literarischer Schiffschaukel-Abend auf den Spuren des jungen Bert Brecht im Augsburger Vorort Lechhausen.
Seit knapp zwei Jahren tourt der Hip-Hopper und Freestyler MC Rene mit Bahncard 100 dafür ohne festen Wohnsitz durch Deutschland, tritt als Stand-up-Comedian auf und liest aus seinem Buch "Alles auf eine Karte - wir sehen uns im Zug". Darin schildert er, was er in vollen und leeren Zügen, auf großen und kleinen Bühnen und zwischendrin erlebt hat. Nach seinem Auftritt am Sonntag im Brauhaus 1516 traf ihn Marcus Ertle zum Interview.
Neue Szene: Wie kamst du auf die Idee zu deiner Reise, oder soll man sagen Flucht?
MC Rene: Die Idee hatte ich, als ich im Callcenter gearbeitet habe, das war so das bürgerliche Notfallprogramm von MC Rene. Ich hatte mir lange Zeit überlegt, was ich mit meinem Leben anfangen will. Ich wollte kein "Nine-till-five-Opfer" sein und ein Kollege sagte: Kauf dir doch ne Bahncard 100 und fahr einfach rum. Das hat er als Witz gemeint, aber die Idee hat sich bei mir festgesetzt und nach einer Woche dachte ich mir: Hey, das is es! Ich hab dann alle meine Sachen verschenkt, die Wohnung gekündigt und mir eine Bahncard 100 zweiter Klasse gekauft.
Du hast schon mit nahezu allen deutschen HipHop-Größen auf der Bühne gestanden - wie kam es von da aus überhaupt zum Callcenter?
Weil ich einfach gemerkt habe, dass mir auf Dauer die Motivation gefehlt hat. Ich wollte nicht immer der Rapper sein, ich wollte was Neues schaffen. Manchmal muss man eine Schublade, in der man steckt, zerstören, um sich wieder freizumachen. Ich hatte das Gefühl, dass ich alles gesagt habe und so habe ich mich entschieden, einen normalen Job zu machen. Das habe ich zwei Jahre lang gemacht und es war am Anfang auch gut, ich war dieser Stefan Eckart, das war mein Pseudonym, ich wollte der normale Typ sein, der am ersten des Monats sein Geld auf dem Konto hat, aber das war nicht ich und so hab ich mich daraus befreit. Als ich die Wohnung gekündigt habe, hatte ich eine unglaubliche Kraft und Motivation, auch weil ich wusste, dass ich was drauf habe. Mir war klar: Scheitern kann ich, aber es wäre das Schlimmste, es überhaupt nicht zu probieren. Das kennt man ja aus dem Leben, ich erzähl damit keine völlig neue Weisheit.
Soll ich oder soll ich nicht.
Ja, Angst kann man haben, es ist nicht so schlimm, wenn man mal verliert. Den Menschen wird heute immer suggeriert, dass sie Gewinner und schön und dies und das sein müssen, die Leute sind so brainwashed davon, dass sie sich selber verlieren. Guck dir doch mal die Leute an, wie einsam die sind. Es ist wichtig, dass man sich verwirklicht und mit dem, was man liebt, seinen Lebensunterhalt verdienen kann, das ist die Erfüllung.
Wenn man es kann.
Ich sage nicht, dass die Menschen aufhören sollen, in 9-5-Jobs zu arbeiten. Was ich sage, ist, dass das Leben zu kurz ist, es damit zu verschwenden, ein Sklave der Arbeit zu sein, es geht um Freiheit.
Job und Wohnung gekündigt, alle Sachen verschenkt, rein in den Zug. Wie ging's weiter?
Ich habe im Internet recherchiert, bei Google nach "Comedybühnen" gesucht und die angeschrieben. Und ich habe positive Antworten bekommen, die mussten ja auch keine Fahrtkosten übernehmen.
Was war dein kleinstes Publikum?
Acht Leute.
Wie viel kriegt man da so an Gage?
Manchmal gar nix, manchmal 30 Euro.
Oder ein Bier.
Oder eine warme Mahlzeit, oder einen Platz zum Pennen. Ich bin halt ein Abenteurer, man weiß nicht, was passiert, es war eine Reise ins Ungewisse.
Sein Hand klingelt, er schaut aufs Display
Hey, das ist Torch, mich ruft gerade Torch an!
Coole Sache. Wie reagiert eigentlich die restliche HipHop-Szene auf deine Aktion?
Es ist doch egal, wie die Szene darauf reagiert, das ist mein Leben und ich habe mich nie als Teil einer Szene gesehen, ich bin ein HipHop-Kind, das hat mich geprägt. Für mich bedeutet Szene nichts anderes, als irgendwelche Leute, die sich über andere das Maul zerreißen, damit will ich nix zu tun haben.
Was war die mieseste Stadt, die du besucht hast?
Kann ich so nicht sagen. Wenn ich sage, diese oder jene Stadt ist scheiße, würde ich den Menschen Unrecht tun, die die Stadt geil finden, ich kann nur von schlechten Auftritten reden.
Du hast ja nur Angst, dass du es dir mit zukünftigen Auftrittsorten versaust.
Dass ich da eines auf die Fresse kriege? Nein, ich seh es einfach anders. Ich sag mal, der schlimmste Auftritt, den ich hatte, war in Hamburg-Harburg in einer Passage, da sind die Omis im Rollator an mir vorbeigerauscht. Ich hab die Stadt in dem Moment gehasst, aber was wäre denn gewesen, wenn statt den Omis schöne Chickas dagewesen wären, die gesagt hätten: Komm mit, kannst bei mir pennen. Da hätt ich dann sicher gesagt: Hamburg-Harburg ist ne geile Stadt! Wobei ich nichts gegen Omas habe, heute habe ich sogar einer älteren Dame, die offensichtlich schwer krank war, ein Buch verkauft. Sie konnte nicht sprechen und hat mir auf einen Zettel geschrieben, wie viel denn mein Buch kostet und wie ich heiße, das hat mich irgendwie berührt.
Schon mal ohne Geld und Schlafplatz in einer Stadt gestanden?
Alles schon passiert, dann wird improvisiert, ich bin ja Freestyler. Ich gehe dann irgendwohin, um in Kontakt mit Leuten zu kommen. Ich stelle mich dann darauf ein, dass ich vielleicht die Nacht durchmache und morgens dann in eine Stadt fahre, wo ich Leute kenne. Das gibt mir eine große innere Sicherheit und Kraft. Du kannst mich irgendwo absetzen und ich schwöre dir, ein paar Stunden später hab ich Kumpels gefunden. Wenn die Leute cool sind, bieten sie mir selbst an, dass ich bei ihnen schlafen kann.
Hat die Bahn zu Recht ein oftmals eher schlechtes Image?
Die Bahn ist natürlich angreifbar als einer der größten deutschen Konzerne. Es kommen Züge zu spät, die Leute ärgern sich, ich hab auch viele Kabarettisten gehört, die das Thema behandeln. Genau deswegen mach ich's nicht, für mich ist die Bahn einfach ein luxuriöses Transportmittel. Wenn die Züge mal zu spät kommen, ist das für mich gut, ich komm selbst nie pünktlich, ich hab also immer ne Ausrede parat. Aber das Bahnfahrfeeling ist super, das kennst du sicher selbst: Du hattest ein Date, bist glücklich, fährst weiter, schaust aus dem Fenster, hörst nen geilen Song, das ist wie das Ende von einem geilen Film. Oder du sitzt einfach neben einem Menschen und kommst mit ihm ins Gespräch und man redet übers Leben, die Familie, alles Mögliche. Flirten dagegen funktioniert da nicht so, ich würde es gern öfter, aber die Frauen sind so schüchtern, das müsste man mal untersuchen, wieso das so ist.
Du kommst ja viel rum, erzähl mal was von den verschiedenen Gegenden in Deutschland.
Der Bayer ist z.B viel konservativer als die Leute im Ruhrpott, die Bayern sind sehr auf ihr eigenes Bundesland bezogen, sehr bierfreudig, traditionsbewusst, ausgeprägte Essenskultur. Die Berliner sind jenseits von Gut und Böse, der Schmelztiegel der Welt, Stadt der großen Illusionen, die Menschen aus Deutschland pilgern dorthin, weil sie unzufrieden sind und haben die Sehnsucht danach, dass sich da alles ändert. Eine gewisse Goldgräbermentalität, dann kommen sie an und kommen mit der Anonymität nicht klar und der Tatsache, dass die Stadt einen eigentlich nicht braucht, es ist eine arme Stadt, die wunderschön hässlich ist.
Wo bist du eigentlich gemeldet?
Ich hab meinen Namen auf den Briefkasten vom Nachbarn geklebt, das funktioniert.
Willst du sesshaft werden?
Ich lass mir das offen. Wenn man sagt, MC Rene ist sozusagen ein City-Playboy, der mal mit Berlin, mal mit Köln rumflirtet, dann muss ich sagen: Ich bin noch nicht bereit für eine Beziehung.
Apropos: In welcher Stadt sind die Frauen denn am besten?
Köln ist schon super.
Und die Berliner Gören?
Berlin sowieso, da sind ja Mädels aus aller Welt.
München?
Viele schöne Frauen, aber da muss man bisschen mehr Kohle haben, wobei man damit den gutherzigeren Mädels jetzt Unrecht tut. Aber München ist schon eine Stadt, in der unglaublich viel Wert auf den Status gelegt wird.
Was ist dein Status?
Mein Status ist innerer Reichtum, dass ich frei bin und nicht in solchen Statusgedanken gefangen bin.
Worum geht’s dir im Kern?
(überlegt) Es geht darum, am Ende nichts zu bereuen, auch wenn man Fehler begangen hat. Wir haben nun mal nur ein Leben und müssen versuchen, das Beste draus zu machen und nicht auf Oberflächlichkeiten fixiert zu sein, so was höhlt die Menschen auf Dauer von innen aus.
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